Gondar, Stadt der Kaiser

Das abessinische Reich hatte in seiner bewegten Geschichte mehrere Hauptstädte. Von 1636 bis 1855 war dies Gondar (oft auch als Gonder transkribiert, aber nicht Gondor, das Land aus “Herr der Ringe“ 😉 ). Kaiser Fasilides (kurz Fasil) ließ dort eine Burg bauen, wie man sie eher im mittelalterlichen Europa vermutet hätte als im äthiopischen Hochland. Im Laufe von 2 Jahrhunderten errichteten nachfolgende Herrscher weitere Gebäude in Gondar und um Gondar herum. Mit unserem Führer Hagos besuchten wir zunächst die außerhalb liegenden Sehenswürdigkeiten und dann als Höhepunkt den Burgen- und Palastbezirk.

Fasilides Palast auf dem Burggelände im Zentrum von Gondar
Fasilides Palast auf dem Burggelände im Zentrum von Gondar

Die Hauptstadt Gondar

Kaiser Fasilides hatte damit den Grundstein für den Aufstieg Gondars gelegt. Mit mehr als 60.000 Einwohnern war der Ort für damalige Verhältnisse im Laufe seiner Regentschaft zu einer Großstadt geworden. Obwohl Gondar mittlerweile etwa 400.000 Bewohner zählte, mutete es trotzdem eher kleinstädtisch an. Wenig größere Straßen durchzogen den Ort, das Verkehrsaufkommen von motorisierten Fahrzeugen war überschaubar, wir bekamen keine Hochhäuser zu Gesicht und die historische Burganlage thronte über der Stadt wie in früheren Zeiten. Auf gut 2200 Metern über dem Meeresspiegel herrschte in Gondar ein gemäßigtes Klima, heiß wurde auch tagsüber nicht.

Am Tewodoros-Kreisverkehr befindet sich das urbane Zentrum Gondars.
Am Tewodoros-Kreisverkehr befindet sich das urbane Zentrum Gondars.

Zur Einordnung der wesentlichen Bauwerke sind neben Kaiser Fasilides dessen Sohn, Yohannes I., und wiederum dessen Sohn, Iyasu I. (Iyasu der Große), wichtig. Die von den Herrschern errichteten Burgen und Paläste symbolisieren auch heute noch eine relativ stabile Episode in der Geschichte Äthiopiens, die mit der Krönung Kaiser Fasilides eingeläutet wurde. Vorher war das Land in Kriege mit islamischen Armeen verwickelt, Fasilides Vater Susenyos war zum Katholizismus konvertiert und hatte versucht, die äthiopisch-orthodoxe Kirche aufzulösen. Kaiser Fasilides setzte all dem ein Ende und stellte die althergebrachte (äthiopisch-orthodoxe) Ordnung wieder her.

Die Kirche Debre Berhan Selassie

Die von Kaiser Iyasu I. (einem Enkel von Fasil) gebaute und 1694 geweihte Kirche Debre Berhan Selassie („Die Dreifaltigkeit auf dem Hügel des Lichts“) ist eine der bekanntesten Kirchen Äthiopiens. Ihre Holzdecke schmücken Malereien von 153 (9×17) geflügelten Engelsköpfen, die vielleicht das bei uns verbreitetste Bild aus einer äthiopischen Kirche darstellen. Über die Zahlensymbolik haben wir keine Informationen gefunden. In Äthiopien kann es sich bei der Zahl 9 immer um einen Verweis auf die im Lande sehr verehrten Neun Heiligen handeln, was in diesem Falle aber wohl eher unwahrscheinlich ist.

Die berühmte mit Engelsgesichtern bemalte Holzdecke in der Kirche Debre Berhan Selassie
Die berühmte mit Engelsgesichtern bemalte Holzdecke in der Kirche Debre Berhan Selassie

Aber auch sonst war die aus Stein errichtete Kirche ungewöhnlich, da sie nicht rund (ein Zeichen für die Vollkommenheit Gottes) ist, wie viele sakrale Gebäude in Äthiopien, sondern rechteckig. Diese Form soll die Proportionen des Tabernakels im Tempel von Jerusalem nachempfinden. Das Innere der Kirche Debre Berhan Selassie ist in Drittel aufgeteilt. Im ersten Raum, den wir betreten durften, blicken die Engelsgesichter von der Decke auf die Gläubigen hinab. Auch die Wände waren fast vollständig bemalt mit Szenen aus dem Leben Jesu, äthiopischen Heiligen und einer Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit, ähnlich der Ausgestaltung der Klöster auf der Zeghie Halbinsel.

Auch die Wände der Kirche Debre Berhan Selassie sind prächtig bemalt. Oberhalb der Torbögen prangt eine Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit.
Auch die Wände der Kirche Debre Berhan Selassie sind prächtig bemalt. Oberhalb der Torbögen prangt eine Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit.

Das zweite Drittel ist den Priestern vorbehalten und im dritten Drittel, dem Holy of Holies, soll sich eine Kopie der Bundeslade befinden. Wie wir lernten, wird in jeder äthiopisch-orthodoxen Kirche in Äthiopien eine solche Kopie im Allerheiligsten aufbewahrt. Die Bundeslade und Äthiopien gehören aus der Sicht der äthiopisch-orthodoxen Gläubigen untrennbar zusammen. Doch mehr dazu werden wir noch im Blogpost über Aksum berichten.

Die Kirche Debre Berhan Selassie. Ihre Proportionen sind dem Tabernakel des Tempels in Jerusalem nachempfunden.
Die Kirche Debre Berhan Selassie. Ihre Proportionen sind dem Tabernakel des Tempels in Jerusalem nachempfunden.

Der Palastbezirk der Kaiserin Mentewab in Kusquam

Gut 100 Jahre nach Kaiser Fasilides herrschte eine der wenigen Kaiserinnen Äthiopiens, Mentewab, an die sich die Geschichte erinnert. Zu ihrer Zeit lebte es sich am Hofe sehr gefährlich. Vor allem unter den männlichen Thronanwärtern kam es zu zahlreichen mysteriösen Todesfällen. Daher, so die Erzählung, baute Kaiserin Mentewab ihren Palast außerhalb des Zentrums von Gondar. Von dort aus regierte sie, allerdings nicht als alleinige Herrscherin, sondern zusammen mit ihrem Sohn Iyasu II. Die Anlage in Kusquam war wesentlich verfallener als Fasilides Palast im Zentrum von Gondar, aber dennoch sehr atmosphärisch.

Der Palast der Kaiserin Mentewab in Kusquam
Der Palast der Kaiserin Mentewab in Kusquam

Die angeschlossene Kirche war leider versperrt. Das Gebäude war rund, aber offensichtlich ein Neubau, da ihre Mauern aus Stein und ihr Dach aus Wellblech bestanden.

Die neugebaute Kirche von Kusquam
Die neu erbaute Kirche von Kusquam

Kaiser Fasilides Wasserschloss

Nach Ausflügen in die spätere Geschichte Äthiopiens und die Außenbezirke von Gondar besuchten wir nun auch die Bauwerke des Kaisers Fasilides. Neben dem Burgkomplex in der Stadtmitte baute er ein Wasserschloss, welches mitten in einem riesigen Becken steht, das aber die meiste Zeit des Jahres trockenfällt. In der Gegenwart (vielleicht auch schon in historischen Zeiten) ist dieser Ort der Schauplatz des Timkat-Fests, bei dem die Taufe Jesu im Jordan nachempfunden wird. Das Wasser des dafür gefüllten Beckens wird gesegnet und hunderte Gläubige sollen sind daraufhin in das Becken stürzen, um ihre Taufe zu erneuern.

Fasilides Wasserschloss inmitten des nur mit etwas Regenwasser gefüllten Beckens
Fasilides Wasserschloss inmitten des nur mit etwas Regenwasser gefüllten Beckens

Das Fest findet immer am 19. Januar statt, wir erkundeten das Wasserschloss am 20. Oktober. Bei unserem Besuch stand nur etwas Regenwasser im Becken, das aber trotzdem das Schlösschen auf seiner glatten Oberfläche widerspiegelte. Auch die Umgebung der Anlage war sehenswert. Zahlreiche Würgefeigen hatten sich, wie in Angkor (Kambodscha), an die Mauern geklammert und überwucherten die Steine. Außerhalb der Umfriedung befand sich ein verwilderter Park, in dessen alten Bäumen wir einige bunte Vögel erspähten.

Der Anblick erinnerte uns an den Tempel Ta Prohm in Angkor. Auch bei Fasilides Wasserschloss hatten Würgefeigen die Mauern überwuchert.
Der Anblick erinnerte uns an den Tempel Ta Prohm in Angkor. Auch bei Fasilides Wasserschloss hatten Würgefeigen die Mauern überwuchert.

Etwas abseits des Wasserschlosses stand das verfallene und vernachlässigte Grabdenkmal des legendären Pferdes Suviel, des Reittiers von Kaiser Yohannes I., Fasils Sohn. Der Legende nach fiel Yohannes in einer Schlacht im Sudan (laut Wikipedia verstarb er in Gondar). Sein Sohn Iyasu konnte Suviel aber befreien. Sie entflohen im gestreckten Galopp und entkamen nur dadurch im letzten Augenblick, dass das tollkühne Ross über eine tiefe Schlucht von 25 Meter Breite sprang. Kein anderes Pferd wäre dazu in der Lage gewesen und so wurde der zukünftige Kaiser Isayu I. gerettet. Solche Heldentaten hätten unserer Meinung nach wirklich ein gepflegteres Grab verdient. Der Schatz an äthiopischen Geschichten jedenfalls schien unerschöpflich.

Das angebliche Grab von Yohannes legendärem Pferd Suviel
Das angebliche Grab von Yohannes legendärem Pferd Suviel

Fasil Ghebbi im Zentrum von Gondar

Fasil Ghebbi ist eine große Festungsanlage, die nicht nur aus Kaiser Fasilides Palast besteht. Dies war nur die erste dort errichtete Burg, viele andere Gebäude folgten auf dem strategisch gut gelegenen Areal mitten in Gondar auf der Kuppe eines Hügels. Wir betraten Fasilides Palast und schritten durch 5 bis 6 Meter hohe, majestätisch anmutende Räume, die ansprechend restauriert, aber weitestgehend kahl waren. (Wenn Ihr Fasil Ghebbi selbst erkunden möchtet, empfehlen wir die Website des Zamani Projekts, das sehr detaillierte 3D-Modelle nicht nur des Palastbezirkes in Gondar, sondern auch anderer historischer Sehenswürdigkeiten erstellt und veröffentlicht hat.)

Die kaiserlichen Räumlichkeiten in Kaiser Fasilides Palast
Die kaiserlichen Räumlichkeiten in Kaiser Fasilides Palast

Auf der von hohen Mauern umgebenen Anlage befindet sich nicht nur Fasilides Burg, sondern auch einige andere Gebäude: weitere Paläste (auch ein von der Kaiserin Mentewab errichteter), drei Kirchen, Stallungen, Löwenkäfige und auch eine Bibliothek. Diese wird Kaiser Yohannes I. zugeschrieben, der auf der Führung als gerechter Herrscher und Tierschützer charakterisiert wurde (treffenderweise bekam sein Pferd Suviel das Denkmal bei Kaiser Fasilides Wasserschloss gesetzt).

Fasil Ghebbi: Links die von Kaiser Yohannes I. erbaute Bibliothek, in der Mitte Iyasus Palast, rechts Fasilides Burg
Fasil Ghebbi: Links die von Kaiser Yohannes I. erbaute Bibliothek, in der Mitte Iyasus Palast, rechts Fasilides Burg

Unser Führer Hagos erzählte uns die Legende von Kaiser Yohannes I. und dem kranken Lastesel: Yohannes hatte eine Glocke vor seinem Palast aufhängen lassen. Jeder, der den Herrscher um Gerechtigkeit anrufen wollte, durfte läuten und wurde von Yohannes gehört. Eines Nachts erklang die Glocke, aber Yohannes sah niemanden. Der gute Kaiser wollte sich schon wieder zur Ruhe begeben, da tönte der bronzene Klang erneut. Und nun entdeckte Yohannes den Verursacher. Ein Esel hatte die Glocke geläutet, indem er sich daran gerieben hatte. Sein Fell war aufgescheuert und das Tier war krank und schwach, da es schwere Salzsäcke hatte tragen müssen. Das Salz war in seine Wunden gelaufen und musste fürchterlich brennen. Der milde Herrscher hatte Mitleid mit dem Tier und ließ den Esel daraufhin in den kaiserlichen Stallungen gesundpflegen und gut füttern.

Äthiopisch-orthodoxer Weckruf

In unserem familiären Hotel direkt neben der Burganlage fanden wir am Vorabend unserer Abreise ein bemerkenswertes Schild an der Rezeption vor. Sinngemäß besagte die Aufschrift, die Gäste sollten sich besser mit Ohropax schlafen legen, um trotz des „Geräusches“ der Kirchen schlafen zu können.

Am nächsten Morgen fingen die Gottesdienste um 5 Uhr morgens an.
Am nächsten Morgen fingen die Gottesdienste um 5 Uhr morgens an.

Auf Nachfrage erklärte uns der Rezeptionist, dass am kommenden Morgen das Fest der von Maria begangen würde, wie an jedem 21. Tag eines jeden Monats. Daher finde morgen früh in allen Kirchen Gottesdienst statt und dieser würde per Lautsprecher für die Gläubigen außerhalb der Kirche übertragen werden. (In manchen Kirchen haben Frauen keinen Zutritt). In der Tat weckten uns am kommenden Morgen ab 5 Uhr die ersten Gottesdienste. Wir hatten auf die Ohrstöpsel verzichtet. Später hörte es sich fast so an, als wollten sich die verschiedenen Kirchen gegenseitig überbieten. In der folgenden Klangprobe erhaltet Ihr einen schwachen Eindruck der Gebete. In Wirklichkeit ertönte das Vogelgezwitscher deutlich leiser als der aus allen Richtungen schallende Gesang.

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