Die Pushkar Horse and Camel Fair (Fair bedeutet auf Sanskrit Mela) verwandelt Pushkar, ein sonst nur 20.000 Einwohner zählendes Dorf, jedes Jahr in eine exotische, bunte, pulsierende Stadt mit 200.000 Besuchern und 50.000 Kamelen und Pferden. Für dieses Spektakel waren wir nach Pushkar in Rajasthan gekommen, und auch, um von dort aus auf die letzte Reittour unserer Weltreise zu starten (mehr zum Reittrekking im nächsten Artikel).
Auf den Mela Grounds
Nachdem wir aufgrund unserer späten Anreise erst mitten in der Nacht ins Bett unseres liebevoll traditionell dekorierten Hotelzimmers in einem historischen Haveli gefallen waren, schliefen wir am nächsten Morgen etwas länger als sonst und gönnten uns ein entspanntes Frühstück auf der Dachterrasse. Dennoch wollten wir auf keinen Fall am späten Vormittag einen Höhepunkt des Jahrmarktprogramms verpassen, den Wettbewerb der tanzenden Pferde („Horse Dance Contest“). Auf den „Mela Grounds“, der zentralen Arena für solche Darbietungen, trafen wir auch zum ersten Mal unsere Mitreiter, mit denen wir die kommenden 8 Tage zu Pferd verbringen sollten. Auf dem Gelände war gerade ein Kabaddi-Spiel, in dem Inder gegen Ausländer antraten, in vollem Gange, eine Mischung aus Rugby und Fangen, bei der der jeweilige Angreifer während bestimmter Phasen nicht einatmen darf.
Wann und wo genau die Vorführung der Pferde stattfinden würde, war erst nicht ersichtlich, aber Ute, die Organisatorin der Reittour, auf die wir glücklicherweise stießen, wusste Bescheid. Nach und nach sammelten sich die Menschen am Ort des Wettkampfes, wobei sowohl Ausländer als auch Inder versuchten, sich geschickt nach vorne zu drängeln. Dann gab es Anweisungen, wo man stehen oder sitzen dürfe, dann schoben sich wieder ein paar Leute dazwischen, dann wurde eine Mini-Absperrung aufgebaut usw. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Ordner mit ihrem Werk und dem Arrangement von Zuschauern, Juroren, etc. zufrieden waren und endlich die Marwari-Pferde die Bühne betreten konnten.
Tanzende Marwari-Pferde
Einer nach dem anderen präsentierten die stolzen Besitzer ihre auf Hochglanz polierten und mit Blumen, Troddeln, Glöckchen und Schärpen dekorierten Pferde an der Hand und ließen sie tanzen. Ein Trommler gab den Takt vor und die Rösser zeigten ihre Übungen, von denen einige entfernt an Lektionen der klassischen Reitkunst erinnerten, unter anderem war eine Art Spanischen Schritts und eine Levade zu erkennen. Besonders enthusiastisch reagierte das Publikum, wenn die Pferde stiegen und auf den Hinterbeinen liefen. Dieses Manöver diente historisch dazu, Reiter von Kriegselefanten anzugreifen. Die Menge tobte und applaudierte.
Nach Abschluss des Wettbewerbs zog sich die Jury zur Beratung zurück. Welches Paar allerdings schließlich gewonnen hatte, wurde für uns leider nicht ganz klar. Die Pferde (nicht nur der Gewinner) kamen zurück, die Absperrungen der Manege waren abgebaut, die Trommler wirbelten erneut auf ihren Instrumenten und die Besitzer ließen ihre Tiere wieder steigen. Besorgt verfolgten wir, wie die begeisterte Menge sich immer dichter um die Stars drängte, was einen ziemlich gefährlichen Eindruck auf uns machte. Sollte eines der Rösser das Gleichgewicht oder die Nerven verlieren, könnte das schlimme Folgen haben.
Pushkar als Pilgerort
Zu dieser Zeit drehte sich in Pushkar aber nicht alles um Pferde, Kamele und Vergnügen. Die Kleinstadt, die sich am Ufer des Heiligen Sees erstreckt, stellt einen wichtigen Pilgerort dar, ganz besonders im Monat Kartik des hinduistischen Mondkalenders. Der Tag des Vollmondes (Kartik Purnima) ist der letzte Tag der Pushkar Fair und der spirituell bedeutendste. Ein rituelles Bad im Heiligen See von Pushkar, der laut der Legende dadurch entstand, dass Brahma an dem Platz Blütenblätter einer Lotusblüte fallen ließ, reinigt die Gläubigen von ihren Sünden (ähnlich wie das Wasser des Ganges). An diesem Tag sollten wir allerdings schon auf dem Rücken der Pferde auf dem Weg nach Süden sein. Aber auch schon vorher pulsierte das Leben in den Straßen rund um den See und die Menschen nutzten Betonbecken in Ufernähe, um in die Fluten einzutauchen.
Auf eine Art wirkten die Bereiche am See in etwa wie ein Klein-Varanasi, ohne wirklich die teils ambivalente Atmosphäre des Originals aufbauen zu können. Neben dem Heiligen Gewässer stellt der Brahma Tempel von Pushkar einen weiteren Anziehungspunkt für die Pilger dar und erstaunlicherweise ist er einer der wenigen weltweit. Lord Brahma steht für das Prinzip der Schöpfung und ist einer der drei wichtigsten Hauptgottheiten im Hinduismus. Also würde man sich nach unserer westlichen Anschauung vorstellen, dass einem solch hoch geachteten und verehrten Gott viele Anbetungsstätten gebaut würden. Warum es so wenige Brahma Tempel gibt, dafür gibt es nach unserem Verständnis keinen eindeutigen Grund und es wird (für uns) ein Geheimnis des Hinduismus bleiben. Die Mythologie jedenfalls besagt, dass ein Fluch der Göttin Saraswati bewirkte, dass dem Schöpfergott nur in Pushkar ein Heiligtum geweiht werden durfte.
Massen von Pilgern schoben sich durch die Gassen rund um den Brahma Tempel, so dass wir uns gar nicht vorstellen wollten, wie es wohl in seinem Inneren zugehen würde. Daher beschlossen wir, uns das Gedränge zu ersparen und nahmen Abstand von dem Versuch, das Heiligtum zu besuchen. Stattdessen beobachteten wir lieber das farbenfrohe Treiben am See, wo viele Menschen an den Bade-Ghats in das Heilige Wasser eintauchten. Einige der Abschnitte am Ufer des Sees haben ihre eigene Geschichte: Brahma badete der Überlieferung nach am Brahma Ghat, Vishnu erschien am Varah Ghat in seiner Inkarnation als Wildschwein und ein Teil der Asche Mahatma Gandhis wurde in den See gestreut an einer Stelle, die seither als Gandhi Ghat bezeichnet wird.
Tempel mit Ausblick
Zum Sonnenuntergang besuchten wir den Savitri Mata Tempel, der etwas außerhalb von Pushkar auf einem Hügel liegt. Dabei ging es uns mehr um den Ausblick als um die sakrale Stätte ;). Die Seilbahn, die auf den Gipfel führt, hätte in der Hitze eine willkommene Erleichterung des Weges sein können. Optisch machte das Transportmittel einen guten Eindruck, aber es gab nur wenige Gondeln, die sehr langsam fuhren und immer wieder zwischendurch stehenblieben, so dass wir nicht damit rechneten, vor Sonnenuntergang oben zu sein, wenn wir einsteigen würden. Also entschieden wir, stattdessen die am Anfang flachen, dann aber immer höher und steiler werdenden Stufen zu nehmen, die hinauf führten.
Auf dem Weg waren wir bei weitem nicht die einzigen, die unterwegs waren. Grüppchen von dynamischen Jugendlichen erklommen die Treppen im Sauseschritt. Für andere, kleine Kinder und alte Menschen, waren die Stufen sichtlich beschwerlich, aber sie schienen fest entschlossen, den Anstieg zu meistern. Entlang des Weges sprangen einige Familien von Affen zwischen Felsen und Gebüsch herum, vor denen wir uns aber sehr in acht nahmen. Die Primaten können aggressiv werden und beißen, wir bemühten uns also, ihnen nicht in die Augen zu schauen. Je weiter wir den Hügel erklommen, desto besser wurde der Ausblick. Der kleine Ort mit dem Heiligen See und die Zeltstadt des Marktes, die im Nordwesten vor den Toren der Stadt lag, erstreckten sich zu unseren Füßen.
Wir entdeckte auch das Mela Gelände, wo die stolzen Marwari-Pferde getanzt hatten. Abgesehen von den Handelsgeschäften mit den Nutztieren ist die Pushkar Horse und Camel Fair ein großes Volksfest. Einige Fahrgeschäfte, am auffälligsten einige Riesenräder, hatten im schwindenden Licht bereits ihre bunte Beleuchtung aktiviert. Da es allerdings entlang des Weges hinunter ins Tal keine Straßenlampen gab, entschlossen wir uns etwas unterhalb des Gipfels umzukehren und im verbleibenden Tageslicht den Abstieg hinter uns zu bringen.
Der Schnurrbart-Wettbewerb
Am nächsten Morgen stand wieder ein interessanter Wettbewerb auf dem Programm. Die Turban Tying Competition und den Bride & Groom Contest hatten wir leider verpasst, aber die Prämierung des imposantesten Schnurrbartes („Mustache Competition“) wollten wir uns nicht entgehen lassen. Bevor die Präsentation des Gesichtshaars starten konnte, musste erst noch ein Cricket Match beendet werden. Die Wettbewerbsteilnehmer mischten sich allerdings bereits unter die Menge, um gesehen zu werden und für Fotos zu posieren. Ähnlich wie am Vortag sammelten sich die Zuschauer auf eher kreative Art und Weise, so dass es schwierig war, unseren überpünktlich eingenommenen Platz zu verteidigen und trotzdem noch ein Selfie zu ergattern.
Die Kandidaten wendeten ganz unterschiedliche Strategien an, um die Gunst des Publikums und der Juroren für sich zu gewinnen. Die Stilrichtung des edlen, eleganten Maharaja war ebenso vertreten wie die des lässigen Mr. Cool, der seinen Bart mit Lockenwicklern (und viel Bartspray?) zu einem symmetrischen, imposanten Kunstwerk aufgezwirbelt hatte.
Der beste Bart soll gewinnen
Auch wenn es dem Namen nach im Wettbewerb speziell um den Schnurrbart ging, so stand eigentlich jede Art von Gesichtsbehaarung im Fokus. Ein Teilnehmer betrat lauthals lachend die Arena und vollführte ein regelrechtes Bart-Striptease, bei dem er nach und nach seine Gesichtshaarzöpfe aufdröselte und unglaubliche 6 Meter Länge präsentierte, die er sich angeblich über 29 Jahre hatte wachsen lassen.
Wieder ein anderer Kandidat spielte beim Einzug auf zwei Blockflöten parallel, die er mit je einem Nasenloch blies. Etwas abgeschlagen in der Konkurrenz wurden zwei Westler, die sich zwar um Coolness bemühten, aber doch eher wie Amateure unter den Profis wirkten ;). Am Ende gewann der edle Maharaja bei diesem ziemlich schrägen, überaus sehenswerten Spektakel.
Pferde, Kamele und Wasserbüffel
Bei all dem Zusatzprogramm hätte man fast vergessen können, dass es sich bei der Pushkar Fair im Grunde genommen um einen Pferde- und Kamelmarkt handelte. Entlang der Straßen in der Zeltstadt präsentierten verschiedene Züchter ihre edlen Rösser. Auch wenn es Marwaris in vielen Fellfarben und mit unterschiedlichsten Zeichnungen gibt, waren die schneeweißen Marwari-Schimmel, die für Hochzeiten genutzt werden, die am häufigsten präsentierten Aushängeschilder.
Die Kamele konnten im Gegensatz dazu nicht mit der gleichen Anmut glänzen, aber dafür waren sie prächtig geschmückt. Ein paar bunte Bommel am Hals oder auf der Nase waren das Minimum. Andere trugen Schellen an den Füßen oder hatten eine kunterbunte Decke, eher ein Netz mit vielen Troddeln, übergeworfen bekommen.
Ganz andere Kaliber stellten gigantische Wasserbüffel dar, die vom Volumen her wohl doppelt so groß waren wie die für unsere Begriffe normalen Tiere, die wir in Varanasi gesehen hatten. Diese Bullen waren regelrechte Kolosse mit schwarz glänzendem Fell.
Ritt über die Pushkar Fair
Inzwischen waren wir von unserem Hotel in das Reitercamp umgezogen, wo wir unser stattliches Pferde-Safari-Doppelzelt mit echten Betten und einem Nachttischchen bezogen hatten. Die Pferde befanden sich auf dem gleichen Grundstück und wir fühlten uns gleich viel mehr als Teil der Pushkar Fair. Auf unserem ersten Ausritt über den Markt gerieten wir außerdem mitten hinein in das Spektakel. Unsere Reitergruppe selbst wurde zur Attraktion, ganz häufig fotografierten uns sowohl Inder als auch ausländische Touristen.
Der Ritt über der Markt war mehr als aufregend für uns und die Pferde. All das Gehupe und Getöse überall, die links und rechts vorbeiknatternden Mofas, die tausenden von Menschen, die Farben und Gerüche machten den Rössern scheinbar wenig aus. Ein deutscher Rummelplatz wäre dagegen eine Anfängerübung gewesen. Ihre Ohren spielten zwar und sie schauten nach hier und dort, selten aber tänzelten sie oder zuckten zusammen. In dieser Dauer-Gelassenheitsprüfung zeigten sie Nerven wie Stahlseile und hätten perfekte Polizeipferde abgegeben. Kirti, mein Reittier, mochte allerdings keine Kamele und stellte ihre Abneigung auch deutlich zur Schau, wenn wir ihnen für ihren Geschmack zu nahe kamen. Schließlich waren ja auch die indischen Pferde die echten Stars der Pushkar Fair ;).