Nachdem unsere erste Woche in Äthiopien von Geschichte und Kultur geprägt war, rückte nun die Natur in den Vordergrund. Im Simien-Gebirge wollten wir die beeindruckende Landschaft, die emblematischen Dschelada-Affen und nach Möglichkeit auch die Äthiopischen Steinböcke (Walia Ibex) sehen. Je weiter wir von Gondar aus nach Norden fuhren, desto weniger anderen Autos begegneten wir auf der Straße. Die vereinzelten Tucktucks überließen nun fast ausschließlich Tiergespannen den Asphaltstreifen. Die gewaltige Gebirgskulisse, die sich immer wieder vor uns ausbreitete, entsprach dem Gegenteil eines Ökosystems, das man in Afrika erwarten würde.
Äthiopisches Altiplano
So wie uns die Witterung in Äthiopien an das Wetter in Quito erinnerte, so waren wir uns schon bei der Planung unserer Äthiopienreise dessen bewusst, dass wir uns im Simien-Gebirge auf über 3000m bewegen würden. Das bedeutete, dass es abends kühl werden würde. Noch dazu bereisten wir Äthiopien in der kältesten Jahreszeit. Nachts konnten die Temperaturen deutlich unter null Grad Celsius fallen. Daher entschieden wir uns gegen die oft angebotene Mehrtageswanderung mit Übernachtung in Zelten und votierten stattdessen für die vermeintlich bequeme und luxuriöse Simien Lodge.
Bevor wir endgültig die Hauptstraße verließen und ins Gebirge abbogen, kauften wir ein Lunchpaket für Maru, unsere beiden einheimischen Begleiter Tasama und Mazo und uns. Tasama fungierte als Führer und Mazo war für unseren Schutz zuständig. Er trug immer ein Gewehr bei sich. Bis zum Ende verstanden wir aber eigentlich nicht genau, wovor er uns beschützen sollte. Vermutlich war es eine lokale Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. 45 Minuten später stellten wir unseren Wagen auf dem Parkplatz der Lodge ab und brachen zu einer ersten Wanderung auf. Etwas Eile war geboten, da die Wolken trotz des Sonnenscheins anfingen, sich aufzutürmen und zwischen den Gipfeln festzusetzen.
Die wilden aber nahbaren Dschelada-Affen
Nach wenigen hundert Metern trafen wir auf eine erste Gruppe von Dschelada-Affen. Es sind sehr soziale Tiere und sie leben in Familienverbänden, die aus einem dominanten Männchen, seinen Damen und ihren Nachkommen bestehen. Die Interaktion in der Gruppe und die Fellpflege sind für sie mindestens ebenso wichtig wie die Nahrungsaufnahme. Dabei sind die Affen reine Vegetarier, sie ernähren sich hauptsächlich von Gras. Grasende Affen, wer hat so etwas schon einmal gehört? Welcher Patriarch jeweils einer Familie vorstand, erkannten wir schnell. Sie waren ehrfurchtgebietende Erscheinungen mit ihrer imposanten löwenartigen Mähne.
Die dominanten Männchen müssen allerdings ständig auf der Hut sein, dass ihnen nicht ein Rivale, ein kräftiger Junggeselle, den Rang abläuft. Wenn ein Dschelada-Familienoberhaupt seine Weibchen nicht verteidigen kann, zögern sie nicht lange, sich unter den Schutz eines kräftigeren Nachfolgers zu stellen. Bei den auf den ersten Blick friedlichen Vegetariern können dann ordentlich die Fetzen fliegen. Sie besitzen spitze Zähne und fletschen furchterregend ihre Hauer.
Durch den Kontakt mit Primatenforschern waren die Dscheladas auf eine sehr angenehme Art und Weise an Menschen gewöhnt, so dass wir uns ein wenig an die Tierbeobachtungen auf den Galápagos-Inseln erinnert fühlten. Wir konnten uns den Affen bedenkenlos auf wenige Meter nähern. Sie nahmen kaum Notiz von uns, stattdessen grasten sie unbeeindruckt weiter, betrieben gegenseitige Fellpflege, säugten ihre Jungen und die Kleinen spielten ausgelassen miteinander. Die Dscheladas versuchten nicht einmal, Eßbares von uns zu erbetteln (und glücklicherweise fütterte auch kein Besucher die Affen).
Regen und Kälte
Das schöne Wetter wich ergiebigem Regen. Es fielen dicke Tropfen, die sich zeitweise auch in Hagel verwandelten. Die Eiskörnchen blieben erstaunlich lange liegen, da die Temperatur nur ca. 5-10 Grad Celsius betrug. Der Niederschlag ließ nicht nach und so suchten wir Schutz unter einigen niedrigen Büschen, um dort unser Mittagessen zu verspeisen. Es regnete allerdings mal mehr, mal weniger kontinuierlich weiter, so dass wir schließlich trotz Regenkleidung mindestens so durchnässt waren wie die Dscheladas.
Zurück in der Lodge offenbarte es sich, dass der Standard unserer Unterkunft leider nicht ihrem stolzen Preis entsprach. Die von uns herbeigesehnte Heizung funktionierte gar nicht, was uns erneut ans landestypisch schlecht geheizte Altiplano erinnerte. Die Solarheizung hatte, wie sich im Laufe unseres Aufenthalts herausstellte, einen wesentlichen Konstruktionsfehler: Immer morgens, wenn die Sonne schien, befanden sich die Panels im Schatten. Nachmittags, wenn mit schöner Regelmäßigkeit Wolken aufzogen und es regnete, konnten sie natürlich auch keine Energie mehr sammeln… Calefacción? No hay… 🙁
In der Hoffnung, unsere durchweichten Wanderstiefel zu trocknen, improvisierten wir eine Schuhheizung aus leeren Wasserflaschen, die wir mit heißem Wasser aus dem Wasserkocher in unserem Bungalow befüllten. Die echte Rettung kam allerdings erst, als im Hauptgebäude ein großes Kaminfeuer entzündet wurde. Dort sahen wir einen Dokumentationsfilm über die Dschelada-Affen und blieben auch nach dem Essen so lange wie möglich sitzen, da es in unserer Hütte feucht und bitterkalt war. (Aber vermutlich trotzdem wärmer, als in einem Zelt gewesen wäre.)
Sonnenschein am Morgen
Am Morgen des zweiten Tages hatte sich das Wetter zum Glück gebessert und die Sonne begrüßte uns mit ihrer wohltuenden Wärme. Unweit der Lodge stießen wir erneut auf eine große Gruppe von Dschelada-Affen, um die 100 Tiere, die mehreren Familien angehörten. Wir trafen sie beim Frühstück an. Sie grasten in der Nähe eines Abhanges, wo sich vermutlich ihr Schlafplatz befunden hatte. (Die Primaten schlafen in Nischen von Steilhängen, um vor Raubtieren sicher zu sein.) Sie ließen es sich sichtlich schmecken, rupften ein Grasbüschel nach dem anderen aus und verspeisten es genüßlich. Dabei schmatzten sie unüberhörbar.
Die kleinen Äffchen hatten weniger das Frühstück, sondern mehr Schabernack im Sinn. Sie jagten einander über die Wiese, turnten am Abhang herum. Nur gelegentlich fraßen sie auch ein bisschen Gras. Immer, wenn ihre Familie weiterzog, sprangen die ganz kleinen auf den Rücken ihrer Mutter und ließen sich ein Stück tragen, Taxi Mama sozusagen. Auf ihrem Rücken war es einfach am besten.
Die kleinen Dscheladas waren sehr niedlich, die Erwachsenen dagegen hätten keinen Schönheitspreis gewonnen. Zweifelsohne hatten sie aber echte Charaktergesichter.
Das Simien-Panorama
Kaum konnten wir uns vom lebhaften Treiben der Affen losreißen, aber schließlich wollten wir noch etwas mehr von den Simien-Bergen sehen. Auf der Weiterfahrt hielten wir mehrmals an, um die beeindruckende Aussicht zu bewundern, die sich am Tag zuvor hinter den Wolken versteckt hatte. Steil fielen die Felsen ab und offenbarten eine atemberaubende Sicht in die Ferne über die schroffen Gebirgsformationen.
Etwa eine Viertelstunde Fußweg von der Straße entfernt gelangten wir zum Jinbar-Wasserfall, der sich mindestens 500 Meter vom Plateau hinab in die Tiefe stürzte.
Auf dem Weg zurück zum Auto – Maru erwartete uns an einem anderen Ort – spürten wir zum ersten Mal die Höhe. Waren wir bisher fast ausschließlich in der Hochebene gelaufen, mussten wir nun einen steilen Aufstieg von etwa 200 Höhenmetern über einen rutschigen und matschigen Pfad zurücklegen. Auf gut 3000 Metern waren wir ohne Akklimatisierung schnell aus der Puste…
Auf der Suche nach den Äthiopischen Steinböcken
Gegen 11 Uhr mittags zogen erneut dichte Wolken auf und uns schwante schon, dass sich das Nebel- und Regenprogramm vom vorherigen Tag wiederholen würde. Natürlich fuhren wir trotzdem weiter, schließlich wollten wir versuchen, Äthiopische Steinböcke zu finden. Immerhin fing es nicht gleich zu regnen an, dafür zog dichter Nebel auf, der sich nur gelegentlich lichtete. Tasama fragte andere Guides und Passanten, ob sie Walia Ibex gesichtet hatten. Nachdem die Leute bejahten, folgten wir der einzigen Straße immer weiter in die Bergwelt des Simien-Gebirges. Die recht abenteuerliche Piste wand sich in Kurven immer weiter hinauf. Als sich wieder einmal der Dunst etwas lichtete, erspähte Tasama in der Ferne tatsächlich eine Gruppe Ibex, die im Hang grasten.
Wir stiegen aus und näherten uns den Tieren möglichst lautlos und unauffällig. Wir waren erstaunt, wie wenig sie unsere Anwesenheit störte. Bis auf etwa 15 Meter konnten wir uns ihnen nähern. In einer guten Position angekommen war es am besten, sich einfach auf den Boden zu setzen und die Steinböcke zu beobachten. Die Gruppe zählte ca. 20 Ibex, was ungewöhnlich viele sein sollten. Wir wähnten uns sehr glücklich, die seltenen Tiere (Quellenangaben schwanken, vermutlich gibt es kaum mehr als 1000 Tiere) aus nächster Nähe sehen zu können. Neben den imposanten Böcken gab es zahlreiche Weibchen und auch einige niedliche Kitze.
Als wir uns von den Ibex verabschiedeten, war es bereits 2 Uhr nachmittags und höchste Zeit für eine Mittagspause. Der designierte Aussichtspunkt, wo wir unser Picknick einnahmen, war spektakulär, aber kurze Zeit später zogen noch mehr Wolken auf und nahmen uns die Aussicht… Auf der Rückfahrt zur Lodge gab es noch eine Überraschung: Tasama entdeckte zwei Klippspringer, die gut getarnt links der Straße zwischen den Büschen lagen. Unsere Fahrt an diesem Tage mutete ein wenig wie eine Safari an.
Kühl, aber sehenswert
Die Natur des Simien-Gebirges war phantastisch und wir haben die Zeit mit den Dschelada-Affen und den Steinböcken sehr genossen – vor allen die trockene Zeit. Für die Simien Lodge müssen wir allerdings massive Abzüge in der B-Note vergeben. Die vermeintliche Luxus-Unterkunft war nicht nur das höchstgelegene Hotel Afrikas (im Sinne von Metern über dem Meeresspiegel), sie hatte auch die mit weitem Abstand gesalzensten Preise in ganz Äthiopien und das bei deutlich unterdurchschnittlichem Standard.
Die Simien Lodge ist das einzige Hotel direkt am Nationalpark und nutzt dieses Monopol schamlos aus. Die Heizung funktionierte nicht (immerhin bekamen wir am zweiten Abend ein Elektroheizkörperchen und es gab heißes Wasser zum Duschen), der Service war eher unmotiviert und das Essen nicht besonders. Ob wir doch gecampt hätten, wenn uns das vorher bekannt gewesen wäre? Vermutlich nicht, da es im Zelt wohl noch frostiger und nasser gewesen wäre. Aber vielleicht hätten wir ein etwas weiter entferntes Hotel für einen Bruchteil des Preises gewählt…
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