Wie war Indien?

Indien war aufregend, laut, bunt, trubelig, Indien stank, duftete nach Rosen, Indien war religiös und spirituell, Indien war kompliziert, bürokratisch, gleichzeitig aber auch hemdsärmelig und spontan, arm und reich, freundlich und gleichgültig. Indien war vieles zugleich und die größten Gegensätze schienen direkt nebeneinander zu existieren. Die Nation stellt ein Universum für sich dar und war … eben indisch.

Indien hat uns extrem gut gefallen und wir genossen die Begegnungen mit vielen freundlichen Indern.
Indien hat uns extrem gut gefallen und wir genossen die Begegnungen mit vielen freundlichen Indern.

Ein Kosmos für sich

Nachdem wir mit gemischten Gefühlen aus Äthiopien abgereist waren, flammte in Indien unser Reisefieber schlagartig wieder auf. Was aber war so besonders an Indien? Zu Anfang war es bestimmt die Reizüberflutung, das Feuerwerk aus sich überstürzenden Eindrücken, die hupenden Autos, der quirlige Verkehr, das bunte Treiben auf den Straßen. Überall pulsierte das volle Leben und wir erlebten Kolkata dreidimensional und mit allen Sinnen. In diesem sympathischen und kreativen Chaos erscheint Indien sehr authentisch und besitzt seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter.

Straßenszene aus Kolkata
Straßenszene aus Kolkata

Indien ist, mehr als jedes andere Land auf unserer Reise (einzige Ausnahme vielleicht Japan), ganz anders, ein vollkommen eigener Kosmos mit seinen landestypischen Gesetzmäßigkeiten und Gebräuchen. Das fängt mit Geschichte und Kultur an, setzt sich in Religion und alltäglicher Spiritualität fort, manifestiert sich in einer phantastischen Küche, die sich von jeder anderen auf der Welt unterscheidet, und wird sogar im Straßenverkehr sichtbar. Damit meinen wir nicht die scheinbar chaotische Betriebsamkeit auf den Straßen (denn eine solche herrscht in vielen anderen Ländern auch), sondern die Fahrzeuge. Indien besitzt eigene Marken wie Mahindra, Bajaj, Tata oder Hindustan Motors, denen man im Alltag überall begegnet.

Tata Motors ist der größte Automobilhersteller in Indien und die Fahrzeuge sind damit auf den Straßen sehr präsent.
Tata Motors ist der größte Automobilhersteller in Indien und die Fahrzeuge sind damit auf den Straßen sehr präsent.

Zudem trug die Tatsache, dass wir nur wenig auf touristischen Trampelpfaden unterwegs waren, sehr zu diesem Reisegefühl bei. Wir tauchten einfach in den indischen Alltag ein und waren oft genug nur zwei weitere Menschen auf der Straße. Immer wieder kam es auch zu freundlichen Begegnungen und interessantem Austausch mit den Einheimischen. In Indien fungierten wir als unsere eigenen Reiseleiter, mit allen Vor- und Nachteilen. Die Organisation gestaltete sich nicht immer einfach, aber trotz, oder gerade wegen der indischen Bürokratie (ein Erbe aus der englischen Kolonialzeit?) war unsere Reise gut planbar. Bei der Kommunikation vor Ort erwies sich auf jeden Fall die englische Sprache als sehr hilfreich, die die Briten dem Land hinterlassen haben.

Indian English

Das geht soweit, dass die indische Verfassung auf Englisch geschrieben ist. Darin steht dann allerdings kurioserweise: „The official language of the Union shall be Hindi“ (Teil XXVII, 343 (1)). Die Durchdringung des Alltagslebens vom Englischen ist unserer Erfahrung nach deutlich ausgedehnter, als es die offiziellen Statistiken vermuten lassen. Angeblich sprechen nur etwa 10% der Inder Englisch und für kaum einen indischen Staatsbürger stellt Englisch die Muttersprache dar. Wir haben trotzdem im Land keine wesentliche Sprachbarriere wahrgenommen. Englisch ist allerdings nicht gleich Englisch, die Inder sprechen Indian English. Es zeichnet sich durch einen typischen Singsang, eine andere Betonung und Aussprache und darüber hinaus durch eine spezielle Wortwahl aus. But in this particular blogpost, we will not give specific references as to the above.

Für uns Westler unlesbar bis auf die Zahlen und selbst die sehen ungewohnt aus.
Für uns Westler unlesbar bis auf die Zahlen und selbst die sehen ungewohnt aus.

Nicht nur die Wörter sind anders, Indien zählt auch anders. Zahlen sind nicht metrisch, nicht imperial, sondern indisch, allerdings merkt man es erst bei größeren Zahlen. Hunderttausend, also 100.000, schreibt man in Indien als 1.00.000, was für unsere westlichen Augen sehr ungewohnt aussieht. In Indien ist diese Zahl zudem nicht „Hunderttausend“, sondern ein „Lakh„. Immer mit 2 weiteren Ziffern ändert sich die Bezeichnung. 10 Mio. werden zu einem Crore und 1 Mrd. zu einem Arab oder 100 Crore.

Nonverbale Kommunikation

Auch in der nonverbalen Kommunikation gibt es Besonderheiten, allen voran den Head Wobble, eine typische Kopfbewegung, deren Bedeutung für uns Westler schwierig einzuschätzen ist. Wenn ein Inder seinen Kopf wiegt, kann dies je nach Kontext Zustimmung, Aufmerksamkeit, aber auch Skepsis oder Ablehnung ausdrücken. Der Head Wobble ist für uns oft nicht einfach zu deuten…

Mittendrin im indischen Verkehr
Mittendrin im indischen Verkehr

Eine andere Form der nonverbalen Interaktion ist das Anstehen in einer Warteschlange. Wir haben die Inder durchgehend als sehr höfliche Menschen wahrgenommen, das Anstehen funktioniert allerdings ziemlich opportunistisch. Dies ist in der Realität nicht böse gemeint, sondern einfach Teil des Rituals. Kaum hat man nicht aufgepasst, wird man in dem breiten Band von sich langsam nach vorne schiebenden Leuten nach hinten durchgereicht. Ohne sanften, aber bestimmten Körpereinsatz und die Entschlossenheit, seinen Platz zu verteidigen, kann sich das Anstehen sehr lange hinziehen. Am Bahnhof von Khajuraho oder am U-Bahn-Ticketschalter in Kolkata zum Beispiel befanden wir uns weniger in einer Schlange als vielmehr in einer Menschentraube. Etwas Ähnliches spielt sich auch an einer roten indischen Ampel ab, wo sich gerne noch ein paar Tuktuks zwischen die Autos und ein paar Motorräder zwischen die Tutuks und ein paar Fahrräder zwischen die Motorräder schieben.

Indien war laut – Blow Horn!

Es geht laut zu, während sich solch ein Pulk von verschiedensten Fahrzeugen vor einer indischen Ampel formiert. Wenn bei uns der Gebrauch der Hupe streng reglementiert (StVO §16 Warnzeichen und StVZO § 55 Einrichtungen für Schallzeichen) und mit Strafen für nicht konformen Gebrauch belegt ist, so scheint in Indien das Hupen überlebenswichtig – für Fahrer und Passanten. Ähnlich wie beim Head Wobble kann ein „Määp, määääp“ viele Dinge bedeuten und nicht nur „Platz da!“. Vielmehr signalisiert die Hupe außerdem die eigene Position als akustisches Signal, als Hinweis „Hier komme ich!“ oder „Vorsicht!“.

Viele Fahrer schienen ihre Hupe auch unter dem Eindruck einzusetzen, ihr Signal würde ein Dimensionstor im dichten Verkehr öffnen, durch das man mit annähernd Lichtgeschwindigkeit fahren könne. Vollgas, Hupe, ein bisschen Slalom, und noch mal voll auf die Hupe und weiter im Vertrauen, dass schon alle rechtzeitig zur Seite springen werden (das Karma eines jeden ist ohnehin festgelegt), so schlängelt man sich durch den Verkehrsreigen. Es ist ein sich immer wiederholendes Wunder, dass dabei nicht mehr Unfälle geschehen. Während unserer gesamten Zeit in Indien haben wir bewusst keinen Zusammenstoß mitbekommen.

Blow Horn! Let yourself be heard!
Blow Horn! Let yourself be heard!

Das Hupen bedeutet meist auch keinen aggressiven Hinweis, es wird nur als den Verkehr unterstützendes Signal eingesetzt, keiner schimpft oder gestikuliert, selbst bei den unmöglichsten Manövern. Schallzeichen sind sogar erwünscht und viele (langsam fahrende) Lkws fordern hinter ihnen fahrende Autos zum Hupen auf („Blow horn!“).

Die indische Bürokratie

Vielleicht versucht die indische Bürokratie ja einfach nur (mehr oder weniger vergeblich), das Land in ein verständliches, ordnendes Korsett zu pressen? Was war denn nun nach den ersten Eindrücken während unserer Reise aus der indischen Herrschaft der Verwaltung geworden? Im Alltag bemerkten wir davon (zum Glück) sehr wenig, aber immer wieder nahmen wir Hinweise darauf wahr. Eine ihrer Manifestation waren zum Beispiel die übergroßen Registrierungsbücher, die in jedem Hotel und bei vielen Sehenswürdigkeiten auslagen. Groß bedeutet zugeklappt in etwa A2 und geöffnet A1.

Alle Hotels führten solch ein riesiges Registrierungsbuch.
Alle Hotels führten solch ein riesiges Registrierungsbuch.

Auf unseren Inlandsflügen konnten wir in der Regel nicht online einchecken, da wir unsere Flüge mit einer internationalen Kreditkarte bezahlt hatten. In den Buchungsbedingungen stand immer, dass man sie am Flughafen vorzeigen müsse. Warum, Weshalb, Wieso? Keine Ahnung, aber so waren nun mal die Vorschriften. Tatsächlich fand diese Kontrolle nur mit einem kurzen, prüfenden Blick statt und auch ein Foto der Kreditkarte auf dem Smartphone war vollkommen ausreichend.

Die Regeln bei Air India: Kokosnüsse im Gepäck verboten!
Die Regeln bei Air India: Kokosnüsse im Gepäck verboten!

Ob es an der Bürokratie liegt oder an etwas anderem, ist schwer zu sagen, aber manche vermeintlich einfachen Dinge waren in Indien ständig ein Problem, zum Beispiel das Geldabheben, unabhängig von der Bank. Geldautomaten funktionierten nicht und verrieten uns nicht, wo das Problem lag. Akzeptierte das Gerät keine internationalen Karten, war das Tageslimit anders eingestellt oder der Automat leer? Ein kontinuierliches Rätsel… Fakt ist, dass wir (fast) immer mehrere Geldautomaten ausprobieren mussten, bis wir unsere Rupien in Händen hielten, darauf konnten wir uns verlassen und auch darauf, dass es schließlich immer irgendwo funktionierte.

Indien ist Indien

Der indische Kosmos erschien sehr konsistent und authentisch. Wie es uns bereits in Varanasi aufgefallen war, sahen wir zum Beispiel erstaunlich wenige internationale Marken, deren Werbung oder auch weltweit bekannte Ketten. Klar bekommt man Coca Cola (wenn man nicht Lassi vorzieht) und die Smartphones im Land werden von Samsung oder Apple hergestellt, aber dort, wo wir unterwegs waren, dominierten mit überwältigender Mehrheit indische Geschäfte und Speiselokale. Das überraschte uns nicht, da es überall sehr gutes Essen für wenig Geld gab. Selbst in sehr guten Restaurants bezahlten wir nicht mehr als 200-350 Rupien (2-3 Euro) pro Gericht. Und dafür bekommt man in bester Lage mit gutem Service und schönem Ambiente ein vollständiges Gericht serviert und kein Fast Food in der Papp- bzw. Styroporverpackung.

Ein köstliches vegetarisches Thali mit Boondi Raita
Ein köstliches vegetarisches Thali mit Boondi Raita

Es heißt, entweder man liebt Indien oder man hasst es. Vielleicht ist es eher so, dass man sich auf die Achterbahnfahrt einlassen kann oder eben nicht. Sobald wir am Flughafen von Kolkata in ein Taxi gestiegen waren, ging diese rasante und abwechslungsreiche Konfrontation mit Gegensätzen für uns los. Chaotischer Alltag mit absurd komplizierten Regeln (der Straßenverkehr in Kolkata), Kühe teilten sich die Straße mit modernen SUVs, Spiritualität traf auf guten Geschäftssinn, all das war Indien. Es passte in kein Schema und war immer wieder aufs Neue aufregend. Vielleicht hat Indien uns auch deshalb so gut gefallen.

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