La Paz, Fiesta del Gran Poder und mehr

La Paz, die de-facto Hauptstadt Boliviens, war unser nächstes Ziel. Den Zeitpunkt unseres Besuches hatten wir so geplant, dass wir das Fest „Nuestro Señor Jesús del Gran Poder“ (kurz: „Gran Poder“) miterleben würden. Der Reiseführer beschrieb diese Fiesta vollmundig, online gab es dazu allerdings, wie so häufig in Bolivien, kaum etwas Konkretes zu erfahren. Also fuhren wir am Vortag des Festes von Copacabana nach La Paz, um uns überraschen zu lassen und es uns einfach anzuschauen. Wir sollten nicht enttäuscht werden!

La Festividad de Nuestro Señor Jesús del Gran Poder: Ein Morenada-Kostüm in den bolivianischen Landesfarben
La Festividad de Nuestro Señor Jesús del Gran Poder: Ein Morenada-Kostüm in den bolivianischen Landesfarben

Abschied vom Titicacasee

Beim Transfer nach La Paz wollten wir gerne vormittags von Copacabana aufbrechen. Da die bequemen Touristenbusse allerdings alle erst nachmittags fuhren, landeten wir in einem ausrangierten Tourist Ejecutivo, in dem die Sitzpolster schon mindestens 20 Jahre durchgesessen worden waren, dessen Reifen kaum noch Profil hatten und in dem das Verhältnis von Einheimischen zu Touristen ungefähr 5:1 betrug.

Unser Bus auf einer der zahlreichen Auto-Fähren
Unser Bus auf einer der zahlreichen Auto-Fähren

Nach ungefähr einer Dreiviertelstunde kamen wir in San Pablo de Tiquina an, wo wir den Titicacasee an einer See-Enge überqueren mussten. Es gab dort aber nicht nur eine Fähre, sondern gleich zwei, eine für den Bus und eine weitere für die Passagiere. Die Busfähre war ein flaches Boot, ohne jegliche Aufbauten, komplett aus Holz und der Boden war mit massiven Brettern ausgelegt. Der Bus wirkte viel zu groß und zu hoch für das einfache Wasserfahrzeug. Für die Passagiere standen kleine Motorboote bereit, die uns zum Preis von 2 Bolivianos (25 Cent) übersetzten.

Die Passagiere mussten separat mit einem kleinen Motorboot übersetzen
Die Passagiere mussten separat mit einem kleinen Motorboot übersetzen

Nach einem letzten Blick zurück auf den Titicacasee fuhren wir erst durch eine Hügellandschaft. Nach kurzer Zeit zeigte sich ein Panorama aus schneebedeckten, mehr als 6000m hohen Bergen auf der linken Seite, das uns bis nach La Paz begleitete. Das erste, was wir von der Großstadt sahen, war die weitläufige Vorstadt El Alto, ein eigenständiger Ort auf einem Hochplateau auf 4100m, der nahtlos in das im Tal gelegene La Paz übergeht. In El Alto befindet sich auch der höchstgelegene internationale Flughafen der Welt. Die Vorstadt selbst hingegen war weniger spannend, viel Stau und Verkehrschaos, die üblichen Häuser aus roten Ziegelsteinen, die unverputzt und unfertig aussahen. Die Perspektive wandelte sich schlagartig, als wir von El Alto hinunter nach La Paz (auf 3600m) fuhren. Es eröffnete sich ein phantastischer Blick über die Stadt mit dem Berg Illimani im Hintergrund.

Auf der Fahrt von El Alto hinunter ins Tal nach La Paz
Auf der Fahrt von El Alto hinunter ins Tal nach La Paz

La Festividad de Nuestro Señor Jesús del Gran Poder

Aufgrund der spärlichen Informationslage rund um Gran Poder hatten wir in Copacabana einen Strohhalm ergriffen, indem wir über die Agentur, mit der wir auf der Isla del Sol waren, zwei Plätze auf der Tribüne eines Hotels für umgerechnet ein paar Euros reserviert hatten. Es wurde uns gesagt, es ginge um 11 Uhr los, aber schon als wir beim Frühstück saßen, vernahmen wir Musik von der Straße. Wir erreichten das Hotel gegen 10 Uhr und der Umzug war schon in vollem Gange. Wir bekamen einen Platz auf der Holztribüne und es gab die Möglichkeit, die Toiletten zu benutzen. Als weitere Utensilien bekamen wir eine Styropor-Sitzunterlage, ein kleines Souvenir und (endlich) einen Plan über die Gruppen und den Ablauf.

El Gran Poder begrüßte uns mit fulminanter Blasmusik
El Gran Poder begrüßte uns mit fulminanter Blasmusik

Der Plan war aber in dem Moment wirklich uninteressant, da uns die Fiesta sofort voll und ganz in ihren Bann zog. Es war ein Rausch von bunten Farben, lauter Musik und Bewegung. Gruppen mit Blasmusik, Tuba, Trompeten, Klarinetten und Posaunen zogen vorbei, zusätzlich traditionell gekleidete Tänzerinnen (nicht nur junge, sondern auch ältere Semester), die unisono ihre Rasseln drehten. Voluminöse Trommeln, Pauken oder Becken bestimmten den Takt – das Spektakel war in vollem Gange.

Den Rhythmus gaben Trommeln oder solche wohldimensionierten Becken an.
Den Rhythmus gaben Trommeln oder solche wohldimensionierten Becken an.

Jede Gruppe trug ein Banner vor sich her, anhand dessen wir sie identifizieren konnten. Unser Plan listete die Startzeiten der Vereinigungen, die gut 90 Minuten später als gelistet an unserer Tribüne vorbeizogen. Jeder Teilnehmer bewegte sich mehrere Kilometer durch die Stadt. Da der Umzug den ganzen Tag dauerte, machten die Tänzer und Musiker zwischendurch auch einfach mal Pause, um zu trinken, sprich die Bierdose oder eine Flasche mit Hochprozentigem kreisen zu lassen, auf die Toilette zu gehen oder einfach nur, um kurz auszuruhen, bevor es nach wenigen Minuten weiterging, schließlich war die Fiesta für die Teilnehmer Schwerstarbeit.

Dieses schwere Morenada-Kostüm wiegt bestimmt mehrere Kilo, so dass die Tänzer bei strahlendem Sonnenschein stark ins Schwitzen gerieten.
Dieses schwere Morenada-Kostüm wiegt bestimmt mehrere Kilo, so dass die Tänzer bei strahlendem Sonnenschein stark ins Schwitzen gerieten.

Ursprung der Feier

Aber worum geht es bei Gran Poder eigentlich? Der Name ist natürlich religiös, lässt sich bis ins Jahr 1663 zurückverfolgen und bezeichnet ein für unsere Augen heute ungewöhnliches Gemälde von Jesus Christus mit drei Gesichtern, das die heilige Dreifaltigkeit darstellt. Darauf war, frei übersetzt, zu lesen: „Der Vater ist nicht der Sohn, der Sohn ist nicht der Heilige Geist und der Heilige Geist ist nicht der Vater, deshalb sind die drei ein Gott oder El Gran Poder (die große Macht)“. Später wurde das ursprüngliche Kunstwerk übermalt und Jesus Christus ist in der modernen Version nur noch mit einem Antlitz dargestellt. Es war nicht herauszufinden, weshalb das Motiv des Bildes abgeändert worden war. Vermutlich entsprach die ursprüngliche Ausdrucksweise des Gemäldes nicht mehr den späteren Gaubens- und künstlerischen Normen.

Rechts das ursprüngliche Gemälde Nuestro Señor Jesús del Gran Poder, links die neue Version (abfotografiert aus einem kleinen Heftchen, das bei der Fiesta ausgeteilt wurde)
Rechts das ursprüngliche Gemälde Nuestro Señor Jesús del Gran Poder, links die neue Version (abfotografiert aus einem kleinen Heftchen, das bei der Fiesta ausgeteilt wurde)

Die moderne Variante der Festivitäten von Gran Poder fand zuerst 1939 als Kerzenprozession statt, an dessen Spitze das Gemälde von Jesus Christus getragen wurde. In den Folgejahren nahmen auch immer mehr Folkloregruppen teil und das Festival wuchs stetig weiter. Viele Tänzer legen das Versprechen ab, zu Ehren von Jesus El Gran Poder, 3 Jahre jeweils bei der Fiesta zu tanzen. Damit nehmen heutzutage mehr als 25.000 Menschen in über 70 Gruppen am Umzug teil und zeigen verschiedene Tänze. Dazu gehören u.a. die Morenada, Caporales, zeremoniell gekleidete tanzende Inka oder Suri Sikuris, ein Tanz, bei dem die Teilnehmer mit Straußenfedern geschmückte Kostüme tragen.

Beim Suri Sikuris-Tanz besteht der Schmuck aus Straußenfedern.
Beim Suri Sikuris-Tanz besteht der Schmuck aus Straußenfedern.

Die Tänze und die traditionellen Kostüme

Einer der häufigsten Tänze war die Morenada („Der Tanz der schwarzen Sklaven“). Die Tänzer trugen mehrere Kilo schwere Kostüme und jede Gruppe übertraf die nächste bei der Gestaltung der Masken, die die Sklaven in den Minen von Potosí darstellen sollen. Die Zungen hingen den schwarzen Bergleuten wegen der schweren Arbeitsbedingungen im Schacht und in der Höhe von über 4000m aus dem Munde. Die Tänzer trugen große Ratschen, die alle Teilnehmer einer Gruppe immer auf Kommando gemeinsam drehten, und die das Rasseln der Ketten an den Füßen der Sklaven nachahmten.

Diese Morenada-Kostüme stellen Sklaven aus den Minen von Potosí dar.
Diese Morenada-Kostüme stellen Sklaven aus den Minen von Potosí dar.

Auch die Tänzer(innen) der Diablada präsentierten prächtige, aber wesentlich filigranere Kostüme. Thema dieses Tanzes ist der Kampf des Erzengels Gabriel gegen den Teufel zu Ehren der Jungfrau Maria. Die Symbolik ist vielfältig und es tauchten auch andere Figuren wie die Dämonen Supay oder Huari auf.

Eine Teufelin höchstpersönlich. Der Tanz heißt Diablada.
Eine Teufelin höchstpersönlich. Der Tanz heißt Diablada.

Beim Caporales-Tanz sahen manche Kostüme wie die von Superhelden oder Cowboys im übertriebenen Sonntagsstaat aus. Die Outfits waren knallig bunt glitzernde Anzüge mit hohem Kragen, Schellen an den Beinen und Cowboystiefeln. Mit einer Trillerpfeife gab der Fronttänzer die Kommandos für die Truppe, die daraufhin sehr dynamische und athletische Tanzeinlagen darbot. Der Tanz ahmt die schwarzen Vorarbeiter (Caporal) nach, die ihre ebenfalls dunkelhäutigen Untergebenen mit der Peitsche antrieben.

Bei den Caporales waren die Superhelden am Start.
Bei den Caporales waren die Superhelden am Start.

Die Fiesta ging immer weiter

Um das (leibliche) Wohl musste sich keiner der Besucher Sorgen machen. Fliegende Händlerinnen und Händler verkauften alles, was man auf den Tribünen irgendwie brauchen könnte: Essen, Getränke und diverse andere Utensilien. Besonders beliebt war Bier, die Brauerei von La Paz war schließlich auch Hauptsponsor ;). Die Verkäuferinnen und Verkäufer waren so unterschiedlich wie ihre Waren. Einige trugen Tabletts oder Bauchläden, auf denen sie ihre Waren präsentierten. Andere schleppte nur einen Rucksack oder eine Plastiktüte (meist gefüllt mit Getränkedosen). Die Profis hingegen hatten einen Hackenporsche oder Kühlboxen dabei. Zu kaufen gab es Spielzeug, Zuckerwatte in allen möglichen Farben, Ratschen (um selbst mit für Stimmung sorgen zu können), Popcorn, Wackelpudding, Limo, Sitzunterlagen, Selfiesticks, Sandwiches, Eis, Hüte, Mützen, Schirme, Chips, Luftballons, Fleisch-Spießchen, Kaugummi, Taschentücher, Quietschetierchen, Toilettenpapier, Hochprozentiges, Cola… Einfach alles, um die Fiesta für die Zuschauer so angenehm wie möglich zu machen.

Popcorn im Überfluss
Popcorn im Überfluss

Die Gruppen waren riesig, viele hatten etwa 200-300, die größten über 500 Akteure. Gelegentlich feuerten sie zwischendurch auch ein kleines Feuerwerk ab. Laut offiziellem Plan dauerte es 10 Minuten, bis eine Gruppe vorbeigezogen war. Da auch innerhalb der Gruppen die Kostüme und Musikinstrumente variierten, wurde uns keine Sekunde langweilig.

Traditionelle Tinku-Kostüme
Traditionelle Tinku-Kostüme

Eigentlich ist Gran Poder unbeschreiblich, eine energiegeladene Fiesta, die ihresgleichen sucht. Jeder Versuch, dieses Spektakel zu beschreiben, bleibt zwangsläufig hinter dem Original zurück. Vielleicht gelingt es diesem Video, etwas von der Stimmung zu transportieren.

Bis in die Nacht hinein

Nach gut sechs Stunden Fiesta war die offizielle Prozession gerade mal zur Hälfte an uns vorbeigezogen. Leicht übersättigt von den vielen Eindrücken zogen wir zunächst noch etwas durch die Stadt, danach ins Hotel und später zum Abendessen. Der Umzug und die La Paz-weite Feier gingen noch bis spät in die Nacht weiter. Wir sahen abends immer wieder Feuerwerk aufsteigen, sogar noch kurz vor Mitternacht – das wäre im Schwabenländle nicht erlaubt! Gran Poder ging bis in die frühen Morgenstunden weiter und wir schliefen mit Trompetenklängen aus der Ferne ein. So eine rauschende Fiesta hatten wir noch nie erlebt!

Bei der Waca Tocori reitet der Tänzer quasi auf einem Stier.
Bei der Waca Tocori reitet der Tänzer quasi auf einem Stier.

Teleferico

Am nächsten Tag zeigte uns La Paz auf unserem Stadtrundgang ein etwas anderes Bild (mit ein bisschen Katerstimmung). Die Liste der offiziellen Sehenswürdigkeiten war eher kurz und wenig aufregend. Dafür gibt es in La Paz ein System aus Seilbahnen als öffentliches Verkehrsmittel statt Bussen, U- oder S-Bahnen.

Seilbahn im Vordergrund, der Illimani im Hintergrund
Seilbahn im Vordergrund, der Illimani im Hintergrund

Die ersten 3 Routen eröffneten im Jahre 2014. Als wir dort waren (Mai 2018) waren es bereits 7 Linien und der Ausbau lief offensichtlich weiter. Die Seilbahnen verliefen bisher um das Zentrum herum, die Anbindung der Innenstadt war noch im Bau. Trotzdem unternahmen wir einen Ausflug mit den Gondeln, um die Aussicht über La Paz und die umgebende Bergwelt zu genießen. Zunächst fuhren wir mit einem Taxi zur Station Chuqi Apu im Süden des Zentrums und von dort mit der gelben Linie hinauf nach Qhana Pata, wo im Streckennetz ein Aussichtspunkt eingezeichnet war. Und in der Tat, der Blick über die Stadt mit den aufragenden, schneebedeckten Bergen im Hintergrund war sehr sehenswert.

Blick über La Paz aus der gelben Linie
Blick über La Paz aus der gelben Linie

Schon allein die Fahrt an sich war sehr interessant. Wir schwebten einfach über allem, über Fußballplätzen, Krankenhäusern, Dachterrassen, Wellblechdächern und, ganz wichtig, über die sonst kurvigen und steilen Straßen, auf denen die gleichen Strecken deutlich länger dauern würden – und das ganz ohne Aussicht.

Der Illimani im Abendlicht
Der Illimani im Abendlicht
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