Die ersten Bewohner Australiens

Unsere Suche nach der Kultur und Informationen über die ersten Bewohner Australiens gestaltete sich –  ähnlich wie die Suche nach Bushfood – eher schwierig. In den ersten drei Wochen besuchten wir lediglich die Führung im botanischen Garten in Sydney und bekamen in Melbourne einen kontroversen Eindruck vom Australia Day. Am meisten lernten wir im Gariwerd-Gebirge im Brambuk Cultural Center über die ersten Einwohner Australiens (oder Koorie) im dortigen Museum und auf einer eintägigen Führung.

Die ersten Einwohner Australiens kämpfen um ihre Rechte und Forderungen (Plakat aus dem Botanischen Garten in Sydney)
Die ersten Einwohner Australiens kämpfen um ihre Rechte und Forderungen (Plakat aus dem Botanischen Garten in Sydney)

Bei der Terminologie fängt es an

Schon die Bezeichnung „Aborigines“, den wir Westler oft verwenden, und den wir im ersten Absatz bewusst vermieden haben, ist problembehaftet. „Aborigine“ bedeutet zwar zunächst nur „Ureinwohner“, ist im Englischen in Australien allerdings negativ besetzt und wird von den Ureinwohnern nicht gerne gehört. Sie bevorzugen es, mit ihrem Stammesnamen, der sich auf eine gemeinsame Sprachfamilie bezieht, identifiziert zu werden (davon gibt es in Australien mindestens 400). In Südost-Australien, über das dieser Artikel berichtet, ist der Oberbegriff Koorie akzeptiert. Daher verwenden wir den Ausdruck „Koorie“ oder „Ureinwohner“ statt „Aborigines“ als Bezeichnung für die ersten Bewohner Australiens, in der Hoffnung, dass dies als respektvoll verstanden wird.

Die Stämme von Australiens ersten Bewohnern
Die Stämme von Australiens ersten Bewohnern

Ähnliche Konflikte in der Terminologie werden bei der Betrachtung einer Landkarte Australiens bewusst. Was auf den meisten Karten mit „Grampians“ bezeichnet wird, kennen die Koorie als „Gariwerd“. Das Grampian-Gebirge erhielt diesen Namen von Sir Thomas Mitchell, der die Bergregion nach den Grampian Mountains in seiner Heimat Schottland benannte. So bekamen viele Orte und Landschaftsmerkmale in Australien durch die Kolonialisierung neue Bezeichnungen, obwohl die Ureinwohner natürlich bereits Namen für diese hatten und haben. Gariwerd ist mittlerweile schon wieder gebräuchlich, aber für viele Berge, Flüsse, Täler werden hauptsächlich die englischen Namen verwendet.

Die Berge, Flüsse und Täler von Gariwerd
Die Berge, Flüsse und Täler von Gariwerd

Eine dunkle Geschichte

Wie auch in anderen betroffenen Ländern wendeten die Kolonialisatoren gegenüber den ursprünglichen Bewohnern eine Mischung aus Hinterhältigkeit und Gewalt an. Sie hinterließen eine Spur der Verwüstung. Es gab Massaker unter den Ureinwohnern, Vergewaltigungen der Frauen, und eingeschleppte Krankheiten dezimierten die Bevölkerung stark. Trotz handgreiflichen Widerstandes und Anwendung von Guerillataktiken wurden die Ureinwohner letztendlich von ihrem Land vertrieben und ihnen wurden für lange Zeit keine Bürgerrechte zugesprochen. Veränderungen der natürlichen Umgebung durch die englischen Siedler zum Zwecke der Weide- und Landwirtschaft entzogen den Einheimischen die Lebensgrundlage.

Wir wollen nicht zu sehr in Details abschweifen, aber es ist wichtig zu verstehen, dass den ersten Bewohnern sehr viel Unrecht widerfahren ist, auch in der nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit. Nur so ist die heutige Verbitterung zu verstehen, die in manchen Äußerungen der Koorie mitschwingt. Ein Beispiel ist das Wahlrecht, dass zunächst ab den 1850er Jahren für Männer (1895 für Frauen), einschließlich der Ureinwohner, bestand. Separate Gesetze entzogen den ersten Bewohnern das Wahlrecht jedoch wieder. Erst 1965 durften wieder alle Ureinwohner Australiens wählen.

Wem gehört das Land?

Ein anderes zentrales Thema ist Landbesitz, ein Konzept, dass es bei den Koorie so nicht gab, auch wenn sie sich heute als die „first owners of the land“ bezeichnen. Die Stämme bewohnten bestimmte Orte und Regionen, es gab sozusagen ein angestammtes Gebiet. Darüber hinaus betrachteten sich die Ureinwohner als Teil des Landes. Über die Doktrin der Terra nullius (1992 vom höchsten Gericht in Australien für nichtig erklärt) erklärten die Engländer ganz Australien für nicht bewohnt und sprachen den ersten Bewohnern de facto jegliches Recht auf Landbesitz ab. Die Siedler rodeten den Wald, legten Sümpfe trocken, bauten Farmen. In gewisser Weise zivilisatorische Errungenschaften, aber inakzeptabel für die Koorie, auch weil es die traditionelle Nutzung der betroffenen Gebiete als Lebensraum und zum Zwecke der Nahrungsgewinnung für sie unmöglich machte.

Ein anderes Verständnis von Landbesitz (gezeichnet von Simon Kneebone)
Ein anderes Verständnis von Landbesitz (gezeichnet von Simon Kneebone, mit freundlicher Genehmigung)

Die Koorie fühlen sich ihrem Land sehr eng verbunden. Die Natur ist ihre animistische religiöse Stätte. Sie erkennen ihre Gottheiten in Tieren, Bergen und Flüssen oder den Sternen. Wir lernten ihre Schöpfungsgeschichte (dreamtime story) kennen, in der Bunjil, the great ancestral spirit, das Land erschuf und heute als Adler darüber wacht. Der Mythos beschreibt die Entstehung der Gebirge und Flüsse, sowie einiger Tiere. Zum Beispiel beschreibt sie, wie das Possum entstand oder wie der Emu seine Federn bekam. Die Landschaft ist also eng mit den Erzählungen und Legenden der Koorie verbunden. Daher fühlen sie sich auch weiterhin für das Land verantwortlich.

Bunjil, Erschaffer der Welt für die Koori. Er wacht über das Land als Adler.
Bunjil, Schöpfer der Welt für die Koorie. Er wacht als Adler über das Land.

Unterwegs in Gariwerd

Im Laufe der Führung fuhren wir durch das Gariwerd-Gebiet und besuchten einige interessante, für die dortigen Clans teilweise spirituell bedeutende Orte. Unsere Koorie-Führer zeigten uns Bäume, an denen vor langer Zeit große Stücke an Rinde entfernt wurde, um Trageschalen für Babys oder Kanus herzustellen. Diese werden als Narbenbäume bezeichnet. Am Ufer des Lonsdale See (Lake Lonsdale; Koorie-Name leider unbekannt) wurden aus verschiedenen Mineralien unterschiedliche Farben für Felszeichnungen gewonnen. Außerdem versuchten unsere Führer uns zu vermitteln, wie die Landschaft vor Ankunft der Siedler ausgesehen hatte. Durch Rodung sind dann landwirtschaftliche Nutzflächen angelegt worden und heute grasen hier Schafe und Rinder. Solche Eingriffe in die Natur wurden emotional und harsch kritisiert. Am Ende mancher Erläuterung folgte ein verbittert und anklagend klingendes: „This is disgusting!“.

Bunjil und seine beiden Helfer, 2 Dingos
Bunjil und seine beiden Helfer, zwei Dingos

Wir sahen die Felsmalereien, die Bunjil und seine Helfer, zwei Dingos, darstellen. Heute ist das Werk durch eine Art Käfig geschützt, so dass man es zwar sehen kann, ihm aber nicht nahe kommt. Das ist einerseits gut, da Vandalismus (z.B. Graffiti) an solchen Orten oft ein Problem ist. Die Koorie fühlen sich aber andererseits in ihrer Glaubensausübung eingeschränkt, da sie die Zeichnung z.B. nicht instand setzen können und dürfen, was in der Vergangenheit anscheinend regelmäßig durchgeführt wurde. Den Schlüssel zum Gitter hat nur die Parkverwaltung und die Koorie fühlen sich dadurch in der Ausübung ihrer rituellen Praktiken eingeschränkt.

Anerkennung der Koorie als Wächter der Landes

Auf einem Schild in der Nähe der Zeichnung steht „Victoria Parks recognises the Traditional Owners of the area, their cultural connections to Country, and acknowledges these people, their renewal of connections and desire to help manage this land.“ Diese Art der Anerkennung hörten und lasen wir öfter in Australien. Häufig wurden die Ureinwohner als „guardians of the land“ bezeichnet. Ein interessanter erster Schritt, der aber für sich allein nur ein Lippenbekenntnis ist.

Offizielles Informationsschild
Offizielles Informationsschild

Wenn von Management des Landes gesprochen wird, ist es durchaus interessant, dass die Koorie früher das Land nicht nur bewohnt, sondern auf vielfältige Art und Weise auch verändert und beeinflusst haben. Sie waren also keine bloßen Jäger und Sammler. Während der kalten Jahreszeit legten sie zum Beispiel gezielt Feuer in jeweils umschriebenen Gebieten. Dies vernichtete Ansammlungen von brennbarem Unterholz und verhinderte damit gewaltige Buschbrände im Sommer. Auch konnten sie sich leichter durch die Wälder bewegen und das Feuer bewirkte einen Selektion von Pflanzen, die die Ureinwohner nutzten. Das Wissen um diese Art von Brandmanagement ist angeblich noch vorhanden und eine Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Nationalparks beginnt anscheinend.

Gariwerd's spektuläre Landschaft
Gariwerd’s spektuläre Landschaft

Leider ist viel von dem alten Wissen der Koorie inzwischen verlorengegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen z.B. in der Nichtausübung der Praktiken oder in Verboten der Weißen. Dazu kommt noch, dass die junge Generation nicht in aller Konsequenz an den überlieferten Traditionen interessiert ist. Im Brambuk Cultural Center waren es eher die etwas älteren, die sich unserer Wahrnehmung nach engagierten. Die jüngere Generation muss wohl noch die Bedeutung ihrer kulturellen Identität für sich erkennen.

Kaum politischer Einfluss

Die Verbreitung der oben erwähnten Schöpfungsgeschichte ist lokal begrenzt und ein gutes Beispiel dafür, dass die ersten Einwohner Australiens kein homogenes Volk sind. Es gibt unzählige Stämme und Clans mit jeweils eigenen Bräuchen, mit unterschiedlichen Sprachen und Dialekten. Sie leben weit voneinander entfernt, in sehr unterschiedlichen Regionen des riesigen Kontinents. In der Vergangenheit gab es durchaus auch bewaffnete Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen. Was sie vereint ist die Tatsache, dass sie bereits vor der Kolonialisierung in Australien gelebt haben. Ein einheitliches politisches Sprachrohr der Ureinwohner gibt es nicht. Diese Zersplitterung scheint eines der großen Probleme zu sein, da die ersten Einwohner nicht mit einer Stimme sprechen und nie gesprochen haben. Damit haben sie kaum politischen Einfluss und werden größtenteils von der australischen Regierung verwaltet. In manchen Gebieten gibt es auch kaum mehr Ureinwohner.

Die Aboriginal Flagge, ein Zeichen von Einheit
Die Aboriginal Flagge, ein Zeichen von Einheit

Trotzdem gibt es einige wenige Zeichen der Einigkeit, zum Beispiel eine gemeinsame Flagge der ersten Bewohner. Das Barunga Statement von 1988 formulierte gemeinsame Forderungen gegenüber der australischen Regierung. Trotzdem spielen die Stammes-Identitäten eine große Rolle und damit gibt es keine einheitliche politische Strategie.

Erste Schritte auf einem langen Weg

Insgesamt scheint jedoch ein Stein ins Rollen gekommen zu sein. Die Anerkennung der ersten Bewohner als australische Staatsbürger, die Aufhebung der Terra Nullius-Doktrin, die Diskussion um den Australia Day, all das sind wichtige Schritte. Bis zu einer Aussöhnung ist es anscheinend jedoch noch ein weiter Weg. Immerhin haben inzwischen in juristischen Verfahren einige Stämme ihr eigenes Gebiet zugesprochen bekommen. Hoffentlich kann eine neue Generation notwendige Kompromisse finden, um die bestehenden Konflikte in respektvollem Dialog wirklich zu lösen. Angehörige der aktuellen Generation wirkten noch sehr aufgebracht und verbittert, womöglich weil sie zu viel Unrecht persönlich miterlebt haben. Auf der Seite der Weißen stehen heute ggf. auch noch Menschen, die für die damaligen Regeln verantwortlich waren.

 

Anmerkung: Es fiel uns sehr schwer, diesen Artikel zu verfassen. Wir haben uns bemüht, soweit es uns möglich ist, objektiv zu berichten. Jedoch ist unser Wissen zu diesem Thema weiterhin sehr begrenzt. Viele der Hintergründe waren neu für uns, z.B. die Ausmaße der Folgen der Kolonialisierung für die Einheimischen, Details der Lebensweise und Kultur und politische Spannungsfelder. Der Tag im Brambuk Cultural Center hat uns sehr bereichert. Im Anschluss diskutierten wir viel über die Situation der ersten Einwohner.

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Monika Tappe
Monika Tappe
4 Jahre her

Guter Aktikel! Durch neue Forschungen weiß man, daß die Vorfahren der Ureinwohner Australiens bereits vor ca. 50.000 Jahren den Kontinent von Norden her auf dem Seeweg erreicht haben. Das und das Überleben in einer nicht überall menschenfreundlichen Umgebung ist eine enorme kulturelle Leistung, die leider erst (fast) zu spät gewürdigt wird.

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